Was bleibt, ist Verlegenheit
von Siegmar Faust
Als Ergebnis der Schaumschlägerei, die sich juristische Aufarbeitung der DDR-Diktatur nannte und, wie Ulrich Schacht sagt, eine ?genuin rechtsstaatsfeindliche deutsche Justiz-Tradition? fortführte, sind immerhin rund 21.500 Verfahren zugelassen worden, von denen weniger als zwei Prozent mit einer Bewährungs- oder Geldstrafe endeten. Lediglich 25 Personen wurden zu Gefängnisstrafen mit täglichem Ausgang verurteilt, und das nach Exzeßtaten, die auch nach DDR-Strafrecht hätten verfolgt werden müssen. Wenn das die Antwort der Juristen ist, müssen diejenigen, die sich erlaubten, die Diktatur zu bekämpfen, einen Fehler begangen haben.
Was lehrt uns das? Die 68er
Zeitgeistträger, einst angetreten, die verzögerte Aufarbeitung der
Verbrechen der ersten Diktatur voranzutreiben und sie zu sühnen,
vermieden es dieses Mal tunlichst, sich aus ihrer überheblichen
Position in die Opferperspektive zu versetzen. Dafür versetzten nicht
wenige von ihnen ihren Lebensmittelpunkt zwecks schnellerer Karriere in
den Osten. Von dorther senden sie, die Rechtspositivisten, nur
ohnmächtige Schwaden blauen Dunstes in den noch immer geteilten Himmel,
der quer durch die verwässerte Nation hindurch die Rechten von den
Linken, die Normalmenschen von den Gutmenschen, die Realisten von den
Utopisten und die Opfer von den Tätern spaltet. Es läßt sich freilich
auch so ausdrücken: Wir leben zwar sämtlich unter demselben Himmel,
aber wir haben nicht alle den gleichen Horizont.
Solange gerichtsnotorisch nicht die Verantwortlichen der Millionen
Enteignungen und Beraubungen auszumachen sind, der Millionen
Vertreibungen, Einsperrungen und Folterungen, der unzählbaren
Demütigungen, Beleidigungen, Betrug um Lebenschancen und psychische
Zerstörungen, ganz zu schweigen von den Hinrichtungen oder 900
Mauerschüssen, solange können sich Überlebende und Hinterbliebene nur
als Phantom-Opfer begreifen. Sie haben gerade einmal so viel
Haftentschädigung bekommen wie ihre Peiniger Mielke und Stoph, die als
Vasallen der sowjetischen Besatzungsmacht zu den Hauptverantwortlichen
dieses DDR-spezifischen Verbrechersyndikats zählen. Diktatoren
überleben oft nur knapp, aber es geht auch anders: Im Rechtsstaat der
vereinigten Bundesrepublik Deutschland wurden sie nicht nur auf
Anordnung der Ärzte und Juristen auf freien Fuß gesetzt, sondern
zusätzlich mit Haftentschädigung belohnt.
Das liberale Tuch, das sich über unser Land spannt, ist fadenscheinig.
Betrachten wir nur einige der herausragenden Anlässe zum öffentlichen
Streit. Sei es der Historiker-Streit, der um den ?Anschwellenden
Bocksgesang? von Botho Strauß, um Sloterdijk, um das Dresdner
Hannah-Arendt-Institut oder um die antidemokratische und militante
Vergangenheit heutiger Minister. Was fällt einem liberal eingestellten
Menschen da auf? Kaum einer denkt selbständig. Bei den geringsten
Anlässen beim Streit unter Wissenschaftlern oder Künstlern schimmert
schnell die ?einzige wissenschaftliche Weltanschauung? wieder durch,
die noch immer oder schon wieder eine totalitäre Versuchung darstellt,
obwohl sie schon tausendmal entlarvt worden ist. Ein Intellektueller,
der unbedingt Recht haben will und diese Anmaßung mit Machtmitteln
durchsetzt, indem er den Gegner aus dem Diskurs verdrängt, ihn
diffamiert, mit Sanktionen oder gar mit Existenzvernichtung bedroht,
verrät nicht nur eine schwache Intelligenz, sondern er übt auch Verrat
an der Kunst oder Geisteswissenschaft, die sich beide durch freies
spielerisches Gewähren und Gewährenlassen aller möglichen Gedanken,
Hypothesen und Theorien auszeichnen. Der einst von Margret Boveri
untersuchte ?Verrat im XX. Jahrhundert? wäre nach Einsicht in die
Archive der Ostblockdiktaturen noch um die gravierendsten Beispiele zu
erweitern.
Besonders jene, die sich als Bewußtseinsbildner und gar als das
?Gewissen der Nation? verstanden, nämlich die Schriftsteller, waren zu
den ekelhaftesten Verrätereien fähig - leider nicht nur die Unbegabten.
Ihr heimtückisches Mitwirken im Terrorapparat der SED ist das genaue
Gegenteil jenes besonderen Verrats, zu dem ein Intellektueller, dem die
geistige Unabhängigkeit und moralische Unbestechlichkeit über alles
gehen, fähig sein sollte: ?Wenn er merkt, es stimmt was nicht, muß er
sich aus jedem Rahmen lösen und auf Heimat, auf Solidarität usw.
pfeifen und darf dann nicht in irgendwelchen Gemeinschaften kleben
bleiben. Das scheint mir die wichtigste Eigenschaft, so ein
Institutionen-Widerstand, ein Herkunfts-, Heimats-,
Gemeinschaftswiderstand.? (Dieter Hoffmann-Axthelm) Über diese
Verratsdefinition würde sich der Streit lohnen, aber nicht über den
Verrat an Freunden, Kollegen und Ehepartnern zugunsten eines
totalitären Staates und eigener Priviligien oder Machtgelüste. Wer
Macht will, sollte Politiker werden. ?Die Politik lebt der Tat, die
Wissenschaft dem Wort. Die Politik bemißt sich an ihren Folgen,
Wissenschaft aber ist folgenlos. Nur so ist sie auch frei.? (Alexander
Schuller) Am bequemsten richteten es sich die Beamten ein, denn wer gut
sitzt, braucht keinen Standpunkt zu vertreten. Künstler und
Wissenschaftler hingegen befinden sich immerzu in einem experimentellen
Stadium. Sie sind nur vorübergehend erfolgreich, sonst aber unsicher
wie jeder im Leben. Wer glaubt, er wisse, muß wissen, daß er glaubt.
Denn was wahr ist, weiß nur einer: der allwissende Gott. Was dem Heil
im Wege steht, muß eben weg.
Honeckers politischer Ziehsohn Egon Krenz, der sich mitten im
Zusammenbruch der DDR dessen Machtfunktionen schamlos zuschanzte, ist
ein schlechter Verlierer. Sein ohnehin mildes Urteil nennt er trotzig
?Unrechtsurteil?. Er fühlt sich als ?politisch Verfolgter der Justiz?.
Krenz, der selbsternannte Widerständler und nützliche Idiot, kann uns
immerhin als schlechtes Beispiel dienen. Und die zur PDS umgerubelte
SED, schon wieder staatstragend, entblödet sich nicht zu behaupten, daß
Krenz?s Verurteilung und Inhaftierung das ?Ergebnis der
Instrumentalisierung des Rechtes zu politischen Zwecken? sei. Das, was
hier unterstellt wird, haben ihre Altkader im ehemaligen
SED-Machtbereich tagtäglich praktiziert, nicht heimlich, sondern
ziemlich offen, denn es war ihr parteiisches Verständnis von Justiz. Es
stellt noch zehn Jahre danach eine Demütigung ihrer Opfer dar, die
unter fürchterlichsten Bedingungen ihre Haftstrafen abzubüßen hatten.
Was wir als Tragödie erleben mußten, gestaltete sich bei Krenz nun zur
Farce. Einmal Opfer - immer Opfer. Die Täter sagen sich zynisch: Die
Vergangenheit können wir nicht mehr ändern, uns bleibt immerhin die
Zukunft.
Einige wenige, die man einst aus den Haftanstalten der DDR freikaufte,
engagierten sich auch vom Westen aus in ihrer alten Heimat, wie zum
Beispiel der aus Sachsen stammende Wissenschaftler Günter Fritsch, der
nach dem Zusammenbruch der DDR seine Hafterinnerungen ?Gesicht zur
Wand? im Leipziger Benno-Verlag veröffentlichen ließ. Auf Vorträgen,
gehalten in Tübingen und Jena, leuchtete er die ?unterirdischen Gänge
des SED-Machtapparates? aus und resümierte: ?Um Rückschlüsse auf die im
Geheimen festgelegten Zielsetzungen von Partei und Regierung ziehen zu
können, reicht es auch nicht, viele hundert Kilometer Stasi-Akten zu
analysieren. Hier müssen die Verfolgten Erinnerungsarbeit leisten, was
in qualitativer und quantitativer Hinsicht eine große Herausforderung
ist. Ungezähltes Leid und Verderben, viel Mißbrauch von Verantwortung
und viel Schuld sind dem Vergessen zu entreißen und müssen verkraftet
werden, um wissenschaftlich verwendet werden zu können. Wir brauchen
dazu ,Erinnerungsprofis?, die zusätzlich imstande sind, sich für die
Täter mit zu erinnern, da diese seit der Wende an plötzlichem
Gedächtnisschwund und chronischen Verdrängungssyndromen leiden.
Außerdem haben wir es bei den DDR-Machthabern mit ,Lügenprofis? zu tun,
die die Wirklichkeit raffiniert verzerren können und es auch heute noch
eifrig tun.?
Das Tragische ist, daß Menschen, die solche vernünftigen Sätze
formulieren, selber Meister des Verdrängens sein können. Manche
versuchen später durch konsequent gedachte Formulierungen, ihre
Schwäche in der Untersuchungshaft, die sie zu Verrätern an Freunden und
Verwandten, also unter solchen Umständen zu Kollaborateuren der
Stasi-Schergen werden ließ, wettzumachen. Sie versuchen, dem seelischen
Erstickungstod zu entkommen, indem sie in die Offensive gehen, Bücher
schreiben, Vorträge halten, gewissermaßen richtige Schlußfolgerungen
ziehen und mahnend durchs Land streifen. Doch durch die vollständige
Einsicht in die Stasi- und Prozeßakten kommen schuldhafte
Verstrickungen zum Vorschein, die sie aber längst nicht mehr wahrhaben
wollen. Am Ende wurden sie selber zu denjenigen, die an ?chronischen
Verdrängungssyndromen? leiden, sich das aber nicht eingestehen können,
sondern sich im Laufe der Zeit umso emsiger eine neue Identität
zusammenzimmerten, die ihrem Wunsch entspricht und sie als
Widerständler und ?Erinnerungsprofis? erscheinen läßt, die alle
Erpressungsversuche oder Verlockungen der Stasi-Offiziere mutig
parierten. Jenen, die dieses Spiel wirklich durchschauen, wird mit dem
Staatsanwalt gedroht. Mit ungewöhnlicher Energie wird Himmel und Hölle
in Bewegung gesetzt, den Wissenden, also den potentiellen Aufdecker,
zum Schweigen zu bringen. So geschieht es zum Beispiel dem Physiker und
Philosophen Dietrich Koch, dessen ehemaligen Freunde heute das
Erscheinen seines Manuskriptes ?Das Verhör?, das sich in einer bisher
nicht dagewesenen Genauigkeit an die Untersuchungshaft in Leipzig
erinnert, mit Mitteln zu verhindern suchen, die an totalitäre Zeiten
erinnern.
Menschen können, trotz gegenteiliger Erfahrung in der Spendenaffäre, so
unbestechlich sein, daß sie nicht einmal Vernunft annehmen. Das fällt
mir auf, wenn ich die oft unqualifizierten Händel zwischen Funktionären
der Opferorganisationen betrachte oder den langsam an die Oberfläche
drängenden Streit unter ehemaligen Freunden und Bekannten beurteilen
soll, die zur 68er Generation in Sachsen gezählt werden können und zu
denen auch der zitierte Günter Fritsch gehört. Es verlangte natürlich
den Stasi-Offizieren innerhalb ihrer Untersuchungshaftansanstalten
keine große Anstrengung ab, die Partner einer verhafteten Gruppe oder
Freundes- und Familienkreise untereinander auszuspielen und zu
?zersetzen?. Wir kennen zusätzlich zu unseren Erfahrungen auch aus den
Aktenhinterlassenschaften ihre so perfiden ?wissenschaftlichen?
Methoden. Der unter mystriösen Umständen 1999 jung verstorbene
Psychologe und Schriftsteller Jürgen Fuchs hat sie als erster mit
durchforstet und überzeugend kommentiert. Leider sind die auf solche
Weise zerbrochenen Freundschaften kaum wieder zu reparieren. Das
anstrengende, uns oft überfordernde Leben in einer pluralistischen
Gesellschaft läßt den wenigsten die Zeit, etwas gründlich zu
rekonstruieren, um den Ursachen einer Zerstörung auf den Grund zu
kommen. Und zur Heilung bedarf es ebenfalls langer Zeit. Doch wer
verfügt darüber?
Es fällt weiterhin auf, daß es zwar mittlerweile viele Haftberichte
gibt, doch die Untersuchungshaft, sowohl bei der Gestapo als auch bei
deren Nachfolgerin, der geheimen SED-Polizei aus dem Ministerium für
Staatssicherheit, wird in Selbstdarstellungen oft nur oberflächlich und
kurz behandelt. Das hat seine Gründe. Nur wenige, die solche
Vernehmungsmethoden einigermaßen gesund überstanden haben, gestehen
sich überhaupt oder gar öffentlich ihre Schwächen und Fehler ein. Jedem
wurden sie offenbar gemacht, der durch diese Mühle gedreht wurde.
Manche sind stolz, wenn es ihnen gelang, den Peinigern einiges zu
verschweigen oder zu verschleiern. Am Ende hat man immer zu viel
preisgegeben. Es bleibt ein Knäuel von Schuldvorwürfen und
Schuldzuweisungen, der kaum auflösbar ist. Ohne Schuldgefühle kann
eigentlich nur bleiben, wer nicht einmal seinen Namen und sein
Geburtsdatum verriet. Um den Apparaten der Gestapo oder des MfS
einigermaßen gewachsen zu sein, hätte man ihre Methoden kennen und sich
darauf geradezu vorbereiten müssen. Vor allem Intellektuelle verzeihen
es nicht nicht gern, daß sie einmal unterlegen waren, hilflos,
ängstlich, verzagt und versagend.
Die Vernehmer wiederum, die von vornherein voller Komplexe den
intelligenteren, gebildeteren Personen gegenüber waren, durften das
durch ihre Machtüberlegenheit, durch den mit konspirativen Mitteln
beschafften Wissensvorsprung, durch ihre Überrumpelungstaktik, durch
Drohungen und billige Tricks aus der pychologischen Folterkiste
kompensieren. So mußten sich Intellektuelle aus Gründen des
Selbstschutzes oft dumm stellen, was über längere Zeit hinweg nicht nur
anstrengend, sondern auch demütigend ist. Man wurde auch mißtrauischer,
wenn man es im Alltag der Diktatur noch nicht gelernt hatte und glaubte
gar: Die Wahrheit ist die sicherste Lüge. Wer das mit aller Pein
durchlebte, auch wenn er sich später wieder als ?toller Hecht? fühlte,
und manchmal schon während der Untersuchungsquälerei einen Teil seiner
gewaltigen Angst verloren hatte, weil er meinte, etwas durchschaut,
gerettet oder gar den Vernehmer überlistet zu haben, kann solche
Erfahrungen kaum einem normalen Zivilisten vermitteln.
So war denn unser Wiederauftauchen nach Jahren aus den
Stasi-Gefängnissen, aus den anschließenden Haftanstalten oder eine
Heimkehr nach dem Freikauf aus dem Westen für ehemalige Kollegen,
Freunde, Hausbewohner, Bekannte und sogar Verwandte oft ?nichts als
eine Verlegenheit? (Jean Am?ry). Für uns jedoch hatte sich alles
grundlegend verändert, oft bis in die engen Familienverhältnisse
hinein. Nicht selten gerieten wir in eine Lage, als hätten wir unsere
Glaubwürdigkeit zu beweisen, als hätten wir etwas wieder gut zu machen.
Da konnte man während der Haft ein noch so harter Brocken für die
Stasi-Ausquetscher gewesen sein; wenn man es wagte, sich aus großer
Distanz einmal selbstkritisch und gar öffentlich in einem Buch zu
fragen, ob man sich nicht doch unabsichtlich zum Mitarbeiter dieser
Schergen gemacht habe, weil man in der Einzelzelle der Aufforderung
nachkam, seine Freunde und Bekannten handschriftlich zu
charakterisieren, sogar mit einer gewissen Hingabe, in der Überzeugung,
kein Verbrecher zu sein und nichts verbergen zu müssen, weckte man
prompt die Beißwut stolzer Absolventen des ?Roten Klosters?
(SED-Journalistenausbildungsstätte) oder des
Johannes-R.-Becher-Instituts
(SED-Diplom-Schriftsteller-Ausbildungsstätte). Die Überschriften der
von den Boulevard-Scharfrichtern verfaßten Artikel sprechen für sich:
?Faust-Autobiographie untermauert Stasi-Vorwürfe?, ?Stasi-Faust: Was
ist wahr in seinem Buch?? Der ehemalige Bautzen-Häftling Xing-Hu-Kuo
äußerte sich gar als Sprecher eines Mini-Opfervereins in
unverantwortlicher Weise: ?Schon lange gab es Gerüchte, daß Faust
während der Haft von der Stasi umgedreht wurde und für sie tätig war,
auch nach seiner Übersiedlung in den Westen 1976.? Was nützt es also,
wenn der Anwalt von der Gauck-Behörde die Bestätigung erhielt, daß
daran absolut nichts Wahres ist?
Die wenigsten Psychiater oder Psychologen im Westen konnten mit den
freigekauften politischen Hälftlingen aus der DDR jahrzehntelang kaum
etwas anfangen. Erst in den letzten Jahren entwickelten sich in diesen
Berufsgruppen zaghafte Ansätze des Verstehens ?posttraumatischer
Belastungsstörungen?. Die Forschungsergebnisse zu KZ-Überlebenden wagte
man nicht auf die Häftlinge aus der DDR anzuwenden. Es sollte keine
Vergleiche geben. Zwar ist die Wissenschaft nun immerhin zu der
Einsicht gelangt, daß ?die psychisch Gefolterten nachhaltiger
geschädigt sind als diejenigen nach bloß körperlicher Tortur?, doch
folgt daraus noch nichts.
Dieselben progressiven 68er, die für sich beanspruchen, das schamhafte
Erinnern in Deutschland angestoßen und damit den
Demokratisierungsprozeß gefördert zu haben, fordern uns bei jeder
Gelegenheit dazu auf, mit unserer Leidensgeschichte, unseren
kryptischen seelischen Verletzungen stumm zu bleiben. Wir bekämen nur
den Beifall von der falschen Seite, den Feinden des Sozialismus. Uns
wurden andere Maßstäbe aufgedrückt als die der ?Opfer des Faschismus?.
Die beiden Psychologen Klaus Behnke und Stefan Trobisch, die SED-Opfern
praktisch helfen, benennen die Perspektive kurz und drastisch:
?Gnadenlosigkeit ist die Folge.? In einer Gesellschaft wie dieser sei
?immerwährende Stärke? gefordert: ?Im Gegensatz dazu weist die
Beschäftigung mit Tätern immer auf unsere eigene Täterschaft, was
Kraft, Durchsetzungsfähigkeit und ewigen Sieg bedeutet und uns deshalb
leichter fällt. Was wir dadurch aber opfern, sind die Opfer.?
Siegmar Faust, geb. 1944 in Dohna (Sachsen), Schriftsteller, in der DDR
wegen ?staatsfeindlicher Hetze? zweimal zu Gefängnisstrafen verurteilt,
Herausgabe einer Häftlingszeitung, dafür 400 Tage Kellereinzelhaft.
1976 von der Bundesrepublik freigekauft. Publikationen: ?Ich will hier
raus? (1983); ?Der Freischwimmer? (1987).
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